Links ganz weit vorn, Grün als großer Verlierer – was ist passiert?
In Baden-Württemberg hatten 131 U18-Wahllokale von 7. bis 14. Februar geöffnet, in denen 12.120 junge Menschen abgestimmt haben. Bundesweit wählten 166.443 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in 1.812 Wahllokalen. Zuwachs bei U18 können vor allem die Linke und AfD verzeichnen. Entscheiden sich Jugendliche vor allem für die Ränder des politischen Spektrums? So vereinfacht lässt sich das nicht sagen. Im folgenden geht es um eine Einschätzung der Ergebnisse der U18 Bundestagswahl und welche Schlüsse zu ziehen sind.
Die U18-Ergebnisse im Vergleich
In Baden-Württemberg bleiben im Vergleich zur U18 Bundestagswahl 2021 die Stimmanteile von CDU und SPD auf ähnlichem Niveau: Die CDU gewinnt einen Prozentpunkt und kann sich auf 18,2 % verbessern, die SPD verliert einen Prozentpunkt und landet mit nun 18 % auf Platz 2. Die Linke darf sich über einen Stimmenzuwachs von knapp 12 % freuen und liegt mit nun 17,8 % knapp hinter CDU und SPD auf Platz drei. Für die AfD stimmten knapp 10 % mehr als noch 2021, die rechtsextreme Partei erreicht mit 15 % der Gesamtstimmen Platz vier. Großer Verlierer bei der U18-Wahl im Ländle sind Bündnis 90/die Grünen, 2021 lagen sie mit 20,8 % der Stimmen noch vor CDU und SPD, dieses Jahr reichte es mit 12,2 % nur noch für Platz fünf.
Bundesweit hat sich der Trend deutlich zu Gunsten der Linken verschoben, die mit 20,8 % als Sieger aus der U18-Bundestagwahl hervorgehen. Danach folgen SPD und CDU mit 17,9 % und 15,7 %. Auf Platz vier kommt die AfD mit 15,4 %. Die Grünen haben deutlich verloren und erreichen nur noch 12,5 % der Stimmen –2021 lagen sie noch bei 21 % und damit auch bundesweit auf Platz 1. Eine Einschätzung von der Bundesebene kann man beim Deutschen Bundesjugendring nachlesen.
Was die Wahlentscheidungen junger Menschen beeinflusst
Bei dem deutlichen Zuwachs am linken und rechten Rand wurden wir gefragt, ob die Jugendlichen in Baden-Württemberg denn nun „extremer“ wählen würden. Das können wir so nicht bestätigen und erste Erkenntnisse aus der Wahlforschung bestätigen bisher unsere Meinung: Jugendliche wählen stark interessen- und bedürfnisgeleitet. Sie entscheiden sich eher für eine Partei, die ihre Meinungen und Forderungen vertritt, als es Erwachsene tun würden. Sie wählen eher Themen – und wirken damit auf viele Politiker*innen weniger berechenbar als Stammwähler*innen, die man „nur“ mit Parteiwerten abholen kann. Das ist sicherlich eine Herausforderung für Parteien, aber auch eine Chance.
Gerade wenn es darum geht, Erst- und Jungwähler*innen zu gewinnen, tritt die Kommunikation der Parteien in den Vordergrund: schaffen sie es, Interessen, Anliegen, aber auch Sorgen junger Menschen zielgruppengerecht aufzugreifen und ihre Maßnahmen auf den Punkt zu bringen? Ein Beispiel sind die Lebenshaltungskosten: viele Kinder und Jugendliche bekommen mit, wie sich u. a. gestiegene Lebensmittelpreise auf den elterlichen Geldbeutel auswirken. Entsprechend gut kommen Parteien an, die hier Lösungen präsentieren – und das auf Kanälen tun, die tatsächlich auch junge Menschen erreichen.
Doch können die Lösungen gut oder schlecht sein. Auf der einen Seite werden faktenbasiert, aber nahbar mögliche Handlungswege aufgezeigt, auf der anderen wird nach Sündenböcken gesucht und platter Populismus ohne Umsetzungsperspektive eingesetzt. Die Wirkmechanismen sozialer Medien: Emotionen schüren, die Quote geteilter Inhalte erhöhen und damit der eigenen Meinung mehr Reichweite zu verschaffen, wissen vor allem Rechtsextreme hervorragend zu nutzen. Und der Algorithmus kommt ihnen zugute, denn er unterscheidet nicht zwischen guter und schlechter Publicity. Auch wer Inhalte der AfD teilt, um sie kritisch zu kommentieren, verschafft den Ursprungsbeiträgen mehr Reichweite; wer sich unter entsprechenden Postings kritisch äußert, macht den Beitrag nur attraktiver für den Algorithmus. Diesen Mechanismus können sich aber alle Parteien zunutze machen.
Noch konkreter: die demokratischen Parteien müssen lernen, Fakten zu schaffen, bevor Lügen ihren Platz einnehmen – auch (aber nicht nur) auf Social Media. Und zwar authentisch, zielgruppennah und umsichtig. Das hat beispielsweise Die Linke verstanden. Sie greift die Probleme der (jungen) Menschen auf und kommuniziert ihre politischen Antworten erfolgreich auf TikTok. Es geht vor allem um soziale Themen, wie Löhne, Mieten und Lebenshaltungskosten. Damit kann Die Linke zwar bislang weniger Follower*innen, aber durchweg mehr Interaktionen verzeichnen als die auf TikTok populäre AfD. Dass die Strategie Wirkung zeigt, haben die U18-Wahlen belegt.
Was wir in der Kinder- und Jugendarbeit tun können
Die Meinung und damit das Wahlverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird aber nicht (nur) durch Social Media-Inhalte gesteuert: Studien (z. B. JIM-Studie 2024) belegen zwar, dass junge Menschen gerne und viel vor allem auf Instagram und TikTok unterwegs sind und sicherlich trägt die Aufbereitung von Themen auf diesen Plattformen zur Meinungsbildung bei. Aber die Mehrheit der Jugendlichen bezieht ihre Infos vorwiegend aus dem Familien- und Freundeskreis sowie der Medienberichterstattung, als aus Social Media-Auftritten. Problematisch wird es dann, wenn das persönliche Umfeld populistischen und reichweitenstarken Lügen nichts entgegenzusetzen hat.
Wir aus der Jugend(verbands)arbeit haben nicht in der Hand, wie gut die Parteien die Ansprache der Wähler*innen meistern, aber wir können Dialogräume eröffnen. Eine Möglichkeit hierfür sind z. B. Jugendkonferenzen mit Abgeordneten. Wir können Fakten Reichweite verleihen und gesellschaftliche Themen in der Gruppenarbeit und der Ausbildung unserer Ehrenamtlichen platzieren.
Darüber hinaus gibt es für uns mehrere Ansatzpunkte: Eine starke Gemeinschaft vor allem für die Jugendlichen bieten, die sonst wenig Teilhabemöglichkeiten haben (Impuls). Informationskompetenz fördern, indem wir entsprechende Angebote in außerschulischen Settings abrufen (jugend@BW, SWR, LMZ, Medienland). Demokratiebildung vorantreiben, ohne zu belehren (Impuls, Wertstätten der Demokratie).
Und natürlich als Interessenvertretung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Mandatsträger*innen aller politischen Ebenen so oft es geht auf den Zahn fühlen – denn die müssen zum Wohle aller Einwohner*innen entscheiden und nicht nur ihrer Wähler*innen.