Die verschiedenen Phasen des „Engagementlebenslaufs“ nutzen
Die „Baustelle“ Gewinnung von Ehrenamtlichen ist oft sehr präsent in den Köpfen – im Hintergrund bleibt viel zu häufig die Bindung von Ehrenamtlichen. Die Frage, wie Ehrenamtliche langfristig gehalten und dem Verein oder Verband verbunden bleiben, ist jedoch mindestens genauso wichtig. Und: wird das Thema Bindung ganzheitlich betrachtet, kann es auch als wesentlich zur Neugewinnung von Ehrenamtlichen beitragen.
Dieser Beitrag zeigt die Stärken einer ganzheitlichen Bindungsstrategie. Er fasst die wichtigsten Aspekte und Rahmenbedingungen zusammen und stellt verschiedene Ansatzpunkte und Bindungsmerkmale vor.
Ganzheitliche Bindungsstrategie – was heißt das?
Modelle zur Engagementförderung werden oftmals kreisförmig oder auch als Kreislauf dargestellt (siehe auch Impuls zu Frankfurter Modell zur Engagementförderung oder Riesenrad der Engagementförderung). Wenngleich sich die Modelle teilweise in der Unterteilung der Phasen unterscheiden, bietet jede Phase Anknüpfungspunkte für Bindungsstrategien.
Bei der Anwendung von Bindungsstrategien müssen die individuellen Lebensläufe bedacht werden. Der Trend geht weg von einem linearen Lebenslauf (Schule – Ausbildung – Familie – Ruhestand). Junge Menschen gehen nach ihrem Schulabschluss vermehrt ins Ausland. Es gibt Freiwilligendienste als Orientierungsjahr. Phasen der beruflichen Neu- und Umorientierung häufen sich ebenfalls. Dieser Wandel wirkt sich auf den „ehrenamtlichen Lebenslauf“ und damit einhergehend auch die anwendbaren Bindungsstrategien aus.
Etwas vereinfacht runtergebrochen können drei Phasen innerhalb eines „Ehrenamtslebenslauf“ festgestellt werden:
1. Phase: Einstieg ins Ehrenamt
Wie so oft: der erste Eindruck zählt! Die Einarbeitung bzw. die Willkommenskultur innerhalb eines Vereins/Verbands sind essentiell für das Wohlbefinden der ehrenamtlich Engagierten und ein nachhaltiges Ehrenamt. Wer hier die richtigen Grundsteine legt, sorgt dafür, dass sich Engagierte gut aufgenommen fühlen und entsprechend motiviert sind, sich langfristig für den Verein/Verband zu engagieren. Über eine Willkommensmappe oder festen Ansprechpersonen bzw. Mentor*innen gibt es verschiedene Möglichkeiten eine gute Willkommenskultur zu etablieren und die Bindung zu Ehrenamtlichen von vorneherein zu stärken. Weitere Ideen sind im Impuls „Willkommenskultur im Engagement“ aufgeführt.
2. Phase: Aktives Ehrenamt
Die Frage der Bindung zielt üblicherweise auf die bereits aktiven Ehrenamtlichen ab. Bindungsstärkung findet hier über eine gute Begleitung der Ehrenamtlichen statt und hängt auch mit der Organisationskultur zusammen. Jugendverbandsarbeit ist mehr als Programm – sie ist Beziehungsarbeit. Eine gut durchdachte, strukturierte Begleitung der Ehrenamtlichen mit einer entsprechenden Anerkennungs- und Wertschätzungskultur sowie Gemeinschaftserlebnisse sind zentral für eine langfristige Bindung und die Identifikation mit der eigenen Organisation. Wie kann die Umsetzung gelingen?
Rahmenbedingungen zur Bindungsstärkung:
- Ansprechpersonen bzw. Mentoring-Programme fest etablieren. Ehrenamtliche Personen brauchen nicht nur für den Einstieg, sondern zu jederzeit Anlaufstellen, wo sie sich bei Fragen und für ein Feedback hinwenden können.
- Klare Arbeitsabläufe und Aufgabenbeschreibung
- Formale Beteiligungsstruktur für Mitsprache und Mitverantwortung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Verein schaffen, z. B. im Vorstand, Jugendleitung, Jugendordnung, etc.
- Strukturierte Wertschätzungskultur durch Ehrungsordnung oder „Hall of Fame“.
Weitere bindungsstärkende Maßnahmen:
- Vereinskleidung und -sprache zur Identifikation
- Qualifizierungsangebote zur fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung, z. B. JuLeica, Trainerlizenzen
- Regelmäßige Würdigungsmaßnahmen, z. B. Helfendenfeste, Ehrungen, Geschenke, Geburtstagsgrüße oder ähnliches
- Regelmäßige Gemeinschaftserlebnisse, z. B. „Stammtische“, Übungs-/Jugendleitungsausflüge, Vereinsfeste, etc.
- Niederschwellige Beteiligungsmöglichkeiten schaffen, z. B. Kummerkasten, Schwarzes Brett.
- (Gesprächs-)Räume für vereinsferne Themen wie z. B. Berufsorientierung ermöglichen
Je höher die Zufriedenheit, je stärker die Bindung zur Organisation und je enger die Beziehung zu den Ehrenamtlichen, desto mehr sind sie auch dazu geneigt Werbung für den Verein/Verband zu machen. Ganz nach dem Peer-to-Peer-Ansatz können dadurch neue Ehrenamtliche gewonnen werden.
3. Phase: Übergänge und Abschied aus dem Ehrenamt ermöglichen und gestalten
Der Wandel zu nicht-linearen Lebensläufen sorgt für mehr Umbrüche – auch im ehrenamtlichen Engagement. Hier ist eine offene Haltung zentral. Ein Verein/Verband mit einer passenden Verabschiedungskultur bleibt in positiver Erinnerung, ermöglicht auch alternative Engagementmöglichkeiten oder einen Wiedereinstieg. So kann eine konstante Bindung zu Ehrenamtlichen hergestellt werden. Mehr zum Thema Verabschiedungskultur gibt es im Impuls „Danke und Tschüss?“. Gerade bei zeitlich absehbaren Übergängen können noch zusätzliche Aspekte beachtet werden:
- Reflexionsgespräche anbieten, vor allem auch für Absprachen zur Kontakterhaltung
- Perspektiven und Ideen für neues Engagement mitgeben
- Vermittlung an andere (Partner-) Organisationen
- Digitale Engagement- und Beteiligungsmöglichkeiten schaffen
- Bescheinigung oder Zeugnisse ausstellen
- Almuni- und Ehemaligentreffen organisieren.
Grundsätzlich ist es wichtig die individuellen Lebenssituationen der eigenen Ehrenamtlichen zu kennen. Das ehrliche Interesse ist ein Zeichen von Wertschätzung – auch gegenüber der Person als solche. Mit dem Kenntnisstand können Übergänge über alternative Engagemenmöglichkeiten oder Vermittlungen besser geplant und begleitet werden.
Fazit: Beziehungen bildet Bindung
Die vielfältigen Ausprägungen einer ehrenamtlichen Laufbahn machen eine ganzheitliche Betrachtung von Bindung unverzichtbar. Von einer guten Willkommenskultur über durchdachte Begleitungsprozesse/-methoden bis hin zu einer offenen Verabschiedungskultur bzw. Begleitung bei Übergangsphasen. Es geht nicht darum, zu fragen: „Wie lange bleibt eine engagierte Person dem Verein erhalten?“ Vielmehr muss die Frage lauten: „Wie kann der Verein die engagierte Person auf ihrem Weg begleiten und Weiterentwicklung ermöglichen?“
Jugendverbände, die auf Beziehungen statt nur auf Rollen setzen, können junge Ehrenamtliche nachhaltig binden. Sie schaffen im besten Fall lebenslange Botschafter*innen und Multiplikator*innen für ihr eigene Organisationen und haben über den Peer-Ansatz vielversprechendes Potential zur Neugewinnung von Ehrenamtlichen.
Es geht darum Vertrauen, Teilhabe und Entwicklung zu ermöglichen, jungen Menschen echte Verantwortung zuzutrauen und langfristig Mitgestaltende zu gewinnen.
Literatur
- Deutscher Landkreistag (Hrsg.). 2023. Hauptamt stärkt Ehrenamt. Ansatzpunkte, Ideen, gute Beispiele. Gesamtherstellung: Gödecke+Gut, Berlin
- Gittermann, Anneke. 2021. Für Engagement begeistern. Eine Praxishilfe für Freiwilligenkoordinator*innen in Kirche und Diakonie. Kassel: Fachstelle Engagementförderung der EKKW.
- Ilg, Wolfgang. 2025. Lehrbuch Kinder- und Jugendarbeit. Juventa Verlang ein Imprint der Julius Beltz GmbH & Co. KG
- Schubert, Peter, David Kuhn, und Birthe Tahmaz. 2023. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Baden-Württemberg. Ergebnisse aus dem ZiviZ-Survey. Berlin: ZiviZ im Stifterverband.
- Gross, Judith. 2023. Jung, engagiert, weg?! Der Beitrag von Freiwilligenmanagement zur Bindung jungen Engagements in Übergangsphasen. https://kidoks.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/4352.
Internetquellen:
- https://www.vibss.de/vereinsmanagement/mitarbeiterinnen-management/einfuehrung/der-lebenszyklus-des-freiwilligen-engagements/systematisches-ehrenamtsmanagement-im-sportverein (Letzter Zugriff: 21.07.2025)
- https://bsb.vibss.de/vereinsmanagement/mitarbeiterentwicklung/bindung-wuerdigung/mitarbeiterbindung-im-verein-einfuehrung-betreuungssysteme-1 (Letzter Zugriff: 21.07.2025)