Warum der Abschied aus dem Ehrenamt mehr Aufmerksamkeit verdient
Ein gelungener Abschied ist mehr als ein freundliches „Danke“ zum Schluss. Er bietet Raum für Rückblick, Anerkennung, Wertschätzung und öffnet Türen für zukünftiges Engagement. In der Jugend(verbands)arbeit ist der Abschied ein oft unterschätzter Moment, dabei kann er für junge Engagierte ebenso prägend sein wie der Einstieg und Übergänge in ein nächstes Ehrenamt gestalten.
Wertschätzende Abschiede in einer Organisation zeigen, dass Engagement gesehen und ernst genommen wird und prägen die jeweilige Organisationskultur. In diesem Beitrag gehen wir darauf näher ein und geben euch konkrete Impulse sowie Best-Practice-Beispiele, mit denen ihr das Thema in eurer Arbeit anpacken könnt.
Der blinde Fleck: Wenn der Abschied vergessen geht
In der Jugend(verbands)arbeit begleitet ihr viele junge Menschen über wichtige Lebensphasen hinweg. Dabei verändern sich auch ihre von Natur aus vielseitigen Lebensrealitäten: Zum Beispiel durch einen Schulwechsel, den Beginn einer Ausbildung, den Wegzug für ein Studium, neue Interessen oder schlichtweg knappe Zeit. Es gehört dazu, dass ein Engagement irgendwann endet und ist gewöhnlicher Bestandteil biografischer Übergänge. Doch gerade dieser Moment, in dem sich jemand aus dem aktiven Tun zurückzieht, bleibt oftmals unbemerkt.
Während viele Organisationen dem Einstieg ins Engagement große Aufmerksamkeit schenken, etwa mit Willkommensformate, Schnuppermöglichkeiten oder durch persönliche Begleitung, wird der Abschied aus dem Engagement seltener aktiv gestaltet. Oft fehlen dafür Strukturen. Nicht immer ist klar, wann und warum jemand aufhört. Das mag nicht zwingend aus Desinteresse passieren, sondern vielleicht aus fehlender Zeit, fehlenden Ritualen oder schlicht, weil das Thema bisher nicht im Fokus stand.
Dabei ist es gerade dieser letzte Moment, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Organisationen, die Abschiede bewusst gestalten, senden ein starkes Signal: „Engagement ist keine Selbstverständlichkeit und du hast bei uns Spuren hinterlassen!“ Es verdient Aufmerksamkeit, vom ersten Tag bis zum letzten. Rituale, Gespräche oder kleine Gesten zum Abschied stärken sowohl die Bindung der Einzelnen, als auch das Miteinander im Verband oder Verein.
Warum der Abschied zählt: praktische Impulse für die Umsetzung
Ein bewusster Abschied ist ein wirksames Mittel zur Stärkung von Anerkennungskultur, zur Reflexion von Strukturen und zur langfristigen Beziehungspflege, worauf nachfolgend noch genauer eingegangen wird. Gerade in der Jugend(verbands)arbeit, in der persönliche Bindung, Motivation und Identifikation eine zentrale Rolle spielen, ist das wichtig. Damit macht ihr Engagement sichtbar und zeigt, dass Mitwirkung nicht nur gewünscht, sondern auch gewürdigt wird.
Anerkennung sichtbar machen
Ein persönlicher Abschied zeigt: „Dein Engagement hat einen Unterschied gemacht und war wertvoll.“ Gerade für junge Menschen, die sich zum ersten Mal einbringen, ist diese Erfahrung prägend. Wer merkt, dass Zeit und Einsatz gesehen werden, geht mit einem gestärkten Selbstbild und bleibt mit positiver Erinnerung verbunden. Diese Botschaft kann auf vielen Wegen vermittelt werden:
Praxisimpulse:
- Eine persönliche Karte mit ehrlichen Worten, zum Beispiel mit einer thänks.Karte.
- Eine öffentliche Verabschiedung im Team, zum Beispiel bei der Gruppenstunde oder der nächsten Versammlung, optional verbunden mit einer kurzen Feedbackrunde: Was schätzen die anderen an der Person?
- Eine symbolische Geste, zum Beispiel ein Gruppenfoto mit Widmung, ein persönlicher Gegenstand oder ein kreatives Andenken.
- Erwähnungen im Newsletter oder auf einem Social Media Post mit einer klaren Botschaft, zum Beispiel „Danke für dein Engagement – du hast uns bereichert!“
Reflexion ermöglichen und daraus lernen
Ein Abschied ist nicht nur ein Ende, sondern auch eine wertvolle Gelegenheit zur Rückschau. Im Austausch können wichtige Hinweise sichtbar werden: Was lief gut? Wo gab es Stolpersteine? Wo gibt es Potenzial zur Optimierung. Solche Gespräche helfen nicht nur, das Engagement individuell abzuschließen, sondern geben die Möglichkeit, die eigenen Strukturen zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Praxisimpulse:
- Abschlussgespräch in ruhiger Atmosphäre, mit vorbereiteten Fragen zu Highlights, Herausforderungen und Zukunftswünschen. Zur Gestaltung eines gelungenen Abschlussgesprächs kann zum Beispiel die Praxishilfe Freiwilligenkoordination gestalten (PDF) auf Seite 68 genutzt werden.
- Gemeinsames Rückblickformat im Team, nachdem die Person verabschiedet wurde. Fragen können sein: Was haben wir mit der Person erlebt? Was nehmen wir als Organisation daraus mit?
- Abschiedsgespräch rechtzeitig vor dem letzten Termin führen, um Übergaben von Aufgaben gut zu gestalten
Beziehungen gestalten – auch über das Engagement hinaus
Engagement endet nicht immer endgültig. Vielleicht kommt jemand zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurück, möchte weiterhin punktuell unterstützen oder bleibt als Multiplikator*in verbunden. Umso wichtiger ist es, beim Abschied nicht nur zurück, sondern auch nach vorne zu schauen: Welche Verbindung bleibt bestehen? Welche Perspektiven sind denkbar? Gerade in Jugendorganisationen, die von persönlichen Beziehungen und Gemeinschaft leben, lohnt es sich, diese Verbindung aktiv zu pflegen.
Praxisimpulse:
- Gespräch mit offener Perspektive führen: Möchtest du später wieder aktiv werden? Gibt es eine Rolle, in der du weiterhin verbunden bleiben möchtest?
- Einladung zur Rückkehr: „Wenn du mal wieder Lust hast, wir freuen uns!“
- Beteiligung in einer anderen Form ermöglichen, zum Beispiel als Gast bei Workshops oder bei einer Klausur.
- Ehemaligennetzwerke aufbauen, zum Beispiel mit Updates, Einladungen oder (digitalen) Grußkarten zum Jahresende und/oder zu besonderen Anlässen.
- Formate schaffen, um in Kontakt zu bleiben: Sommerfeste, Dankesaktionen, (Online)Stammtisch
Botschafter*innen gewinnen
Wer sich gesehen fühlt, bleibt verbunden. Viele junge Menschen tragen positive Erfahrungen weiter, zum Beispiel im Freundeskreis und Familie. Sie werden zu Multiplikator*innen, die für ehrenamtliches Engagement werben und andere inspirieren.
Praxisimpulse:
- Ehemalige gezielt ansprechen, zum Beispiel für Erfahrungsberichte auf Social Media oder auf der Website
- Alumni-Verteiler für gelegentliche Einladungen oder Informationen aufbauen
- Ehemalige als Ansprechpersonen für neue Engagierte oder zur Projektunterstützung gewinnen
- Danksagung öffentlich platzieren, zum Beispiel im Jahresbericht, im Newsletter oder bei einer Veranstaltung
Best Practice: Der KJR Biberach lebt Verabschiedungskultur
Beim Kreisjugendring Biberach ist der Abschied fester Bestandteil der Verbandskultur. Ob Vorstandsmitglied, Delegierte oder aktive Person aus einem Arbeitskreis – wer aufhört, wird sichtbar und wertschätzend verabschiedet. Zum Abschied gibt es ein persönliches Schreiben, ein kleines Geschenk wie eine Küchenschürze mit Logo, das eigene Jugendgetränk „Blapf“, Schokolade oder Blumen sowie eine handgeschriebene Karte mit individuellen Worten. Bei längerem Engagement kommt ein Gutschein eines lokalen Anbieters hinzu.
Zugleich wird gefragt, ob der KJR Biberach weiterhin die Person kontaktieren darf. Mit einem Datenschutzformular kann der Kontakt offiziell fortgeführt werden, etwa über Updates und Einladungen. Wichtig dabei: die Verabschiedung findet öffentlich statt, meist im Rahmen einer Mitgliederversammlung. Damit wird nicht nur der Einsatz der Einzelnen gewürdigt, sondern auch ein starkes Signal an alle Aktiven gesendet.
Fazit: Abschied bewusst gestalten – Verbindungen stärken
Abschiedskultur ist Teamarbeit. Ob Karte, Gespräch oder Wiedersehen: schon kleine Schritte können Großes bewirken! Nutzt den Moment des Abschieds, um Wertschätzung sichtbar zu machen, Rückmeldungen aufzunehmen und Beziehungen langfristig zu pflegen.
Ihr müsst dabei nicht alles auf einmal umsetzen, ein erster bewusster Abschied kann bereits neue Routinen anstoßen. Tauscht euch im Team aus, probiert Dinge aus und schaut, was zu euch passt.
Leitfragen für euren nächsten Teamabend oder Austausch:
- Wie werden Engagierte bei uns aktuell verabschiedet und wie fühlt sich das an?
- Welche Formen der Anerkennung oder Verabschiedung sind bei uns möglich, auch mit wenig Aufwand?
- Wie können wir Feedback aus Verabschiedungen stärker als Lernchance und zur Weiterentwicklung unseres Vereins nutzen oder etablieren?
- Welche Form der Verbindung möchten wir zu ehemaligen Engagierten pflegen?
Wenn ihr das Thema bei euch angehen wollt: Die Regionalstellen von The Länd of Young Ehrenamt unterstützen euch gerne mit Materialien, Beratung und Ideen. Meldet euch!
Literatur:
- Gittermann, Anneke, Ralph Fischer, Monika Nack, Dietrich Nolte, Ursula Stegemann, und Andreas Wiesner. 2021. Für Engagement begeistern. Eine Praxishilfe für Freiwilligenkoordinator*innen in Kirche und Diakonie.
- Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland im fjs e.V. (Hrsg.) (2023). Förderung von ehrenamtlichem und freiwilligem Engagement. Eine Handreichung: https://player.edudesk.de/Book/volisco_hr10_verabschiedung