Satzungskonforme Versammlungen sind kreative Begegnungsorte
Im Frühjahr stehen in Jugendverbänden, Jugendringen und vielen Vereinen traditionell Mitglieder-, Voll- oder Jahreshauptversammlungen, nachfolgend abgekürzt als Versammlung, an. Während Bezeichnungen, Turnus und auch Gestaltungform variieren, gibt es keinen Unterschied hinsichtlich ihres zentralen Stellenwerts als höchstes Entscheidungsgremium des Vereins. Dieser Impuls zeigt euch mithilfe von Praxisbeispielen, wie ihr eure Versammlungen neben der satzungsgemäßen Durchführung gleichzeitig vielseitig gestalten könnt. Nutzt diese Inspirationen und den Versammlungsort aller Mitglieder dazu, die Mitglieder mehr miteinander zu vernetzen, in inhaltlichen Austausch zu bringen und zugleich eine wechselseitige Rückbindung an die Arbeit des Vorstands zu ermöglichen.
Ablauf und Rahmung einer Versammlung
Eine klassische Versammlung folgt einer mit der Einladung versandten Agenda. Typische, immer wiederkehrende Tagesordnungspunkte sind die Begrüßung, Feststellung der Beschlussfähigkeit, der Geschäfts- und Finanzbericht, oft auch Wahlen und weitere Formalia. Auch mit stringenter Rahmung und eher trockenen Inhalten der Versammlung bieten sich viele Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Für die Mitglieder bieten sich dafür vor allem eigene inhaltliche Anträge an.
Von seiten der Tagungsleitung kann die Tagesordnung aufgelockert werden, oder es werden Impulse unter dem Tagesordnungspunkt „Sonstiges/Verschiedenes“ gesetzt. In der Regel bieten insbesondere Versammlungen ohne Vorstands- oder Gremienwahlen die Möglichkeit, mehr Zeit für Vernetzung und inhaltlichen Austausch in der Tagesordnung einzuplanen.
Ziele einer Versammlung
Mit der Durchführung einer oder mehrerer jährlichen Versammlungen werden verschiedene Ziele verfolgt, wobei die Versammlungen auf verschiedenen Ebenen wirken: jugendpolitisch, inhaltlich, strategisch und öffentlich (vgl. BJR 2019, S. 5). Im Sinne expliziter Ziele, entlang der vier genannten Wirkungsdimensionen, werden beispielsweise inhaltliche Schwerpunkte und jugendpolitische Positionen erarbeitet, Anträge der Mitglieder diskutiert, Ämter und Gremien per Wahl besetzt und der Jugendring beziehungsweise der Verein/Verband strategisch aufgestellt.
Weitere, eher implizite, Ziele der Versammlungen können gegenseitiges Kennenlernen und Vernetzung, fachlicher Austausch, Stärkung des Miteinanders und der Identitätsbildung mit dem Jugendring beziehungsweise Verein/Verband sein (vgl. BJR 2019, S. 27). Ein gemeinschaftliches Verständnis als Zusammenschluss für die jugendpolitische Interessenvertretung für alle Kinder- und Jugendlichen (ebd., S. 4) steht im Fokus.
Versammlungen können darüber hinaus für Gäste aus Politik, Presse und Verwaltung geöffnet werden, was Vernetzung über die Verbandsgrenze hinaus ermöglicht und auf öffentliches Wirken der Versammlung abzielt.
Methoden zur Einbindung neuer Delegierter und zum gegenseitigen Kennenlernen
Delegierte, die zum ersten Mal auf einer Versammlung dabei sind, wissen mitunter nicht, was für ein Ablauf, welches Vorgehen, welche Beteiligungsformen sie erwarten. Der Landesjugendring BW bietet hierfür vor Beginn der Vollversammlungen jeweils eine kurze „Einführung für neue Delegierte“ an, eine Art Briefing, in dem die Formalia und Ablauf z. B. von Antragsdiskussionen und Wahlen erläutert werden. Das ist auch für kommunale Jugendringe interessant und wird beispielsweise dieses Frühjahr beim Stadtjugendring Heidelberg als Mittel eingesetzt, neue Delegierte für die Versammlung vorzubereiten und Distanz abzubauen. Unterstützen kann dabei eine Art Willkommens- oder Delegiertenmappe, in der Informationen zu Struktur, Stimmrecht, Satzung, Serviceangeboten und inhaltlicher Arbeit des Verbands zusammengestellt werden. Idealerweise ist diese für Delegierte auch schon vorab (online) verfügbar.
Um neue Delegierte anschließend in der Gesamtgruppe der Versammlung einzubinden, helfen neben klassischen Organisations- und Namenschildern weitere Methoden. So zum Beispiel eine kurze Aktivierungsmethode: Zu Beginn stehen alle Personen auf, die…
- … zum ersten Mal anwesend sind.
- … im Vorstand mitwirken.
- … aus einem Verband im Bereich Bewegung und Sport, Natur und Umwelt, Glaube und Religion etc. kommen.
Als weitere Methode kann die gegenseitige Präsentation der jeweiligen Jugendarbeit in den Verbänden eines Jugendrings eingebracht werden. Zum Beispiel durch Kurzvorstellung eines einzelnen Verbands mit PowerPoint Präsentation, 2-Minuten Pitch von mehreren Verbänden oder Gestaltung und Aushang von Plakaten. Letztere Methode hat beispielsweise beim Kreisjugendring Reutlingen gut funktioniert und gleichzeitig wurden die anwesenden Verbände für die eingeladene Gäste aus Politik sichtbarer.
Als letzte Methode soll an dieser Stelle das sogenannte Kennenlern-Speed-Dating benannt werden. Warum nicht auch diese Methode einmal in einer Versammlung ausprobieren und einzelne Delegierte näher kennenlernen? Immer zwei Personen kommen kommen innerhalb einer festgelegte Zeit zu vorher vorgestellten Fragen ins Gespräch. Mögliche Fragen könnten sein:
- Was hat dich heute hierhergeführt? Von wo bist du angereist?
- Was sind deine Aufgaben, deine Rolle im Verband?
- Gibt es eine Aktion oder Veranstaltung, die dir in deinem Verband besonders gefällt, wofür dein Herz schlägt?
Methoden zur Aktivierung von fachlichem Austausch auf einer Versammlung
Viele Methoden die in interaktiven Fortbildungen oder Workshops angewendet werden, funktionieren auch bei Versammlungen. Allerdings muss dafür entsprechende Zeit zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere Versammlungen ohne Wahlen eignen sich für eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung zu bestimmten Themen.
Der Stadtjugendring Nürtingen bringt seine Mitglieder bei Mitgliederversammlungen unter anderem durch Impulsfragen, moderierte Thementische wie bei einem World Café oder Plenumsdiskussionen, zum Beispiel mit der Fishbowl-Methode, ins Gespräch. Dabei könnt ihr zwischen freien oder mit „Musiksignal“ angeleiteten Tischwechseln variieren oder bei der Diskussion beispielsweise Expert*innen aus Politik, Fachstellen oder einzelnen Jugendverbänden hinzuziehen. Auch die Landesjugendversammlung der JDAV BW variiert den Tagesablauf ihrer Versammlung mit Themenstationen.
Weitere Anstöße für fachlichen Austausch bieten Impulsfragen, Flyer und sonstige Materialien auf den Tischen sowie inhaltliche Vorträge mit anschließenden Plenums- oder Kleingruppengesprächen. Zum Beispiel zu den Themen Anerkennung oder Gewinnung von Ehrenamtlichen.
Bei knapper Zeit kann auch eine digitale Abfrage von Themen, Wünschen und Ideen eine Beteiligungsmöglichkeit der Delegierten sein. Dafür dann am besten einen festen 5-Minuten Zeitslot in der Tagesordnung einplanen und ein Programm wie zum Beispiel „Mentimeter“ hinzuziehen. Mögliche Fragen sind:
- Mein Jugendring/Verein/Verband steht für mich für…
- Welche Themen/inhaltlichen Schwerpunkte wünschst du dir für die nächsten Monate?
- Ich wünsche mir vom (neuen) Vorstand…
Auch analoge Stellwände sind eine Möglichkeit, Interessen abzufragen. Allerdings berichten Jugendringe in BW von unterschiedlichen Erfahrungen, ob dieses Angebot angenommen wird oder nicht. In jedem Fall können Stellwände zur Raumgestaltung genutzt werden und einen informativen Einblick in aktuelle Projekte oder auch einen Jahresrückblick bieten.
Weitere Hinweise aus der Praxis
Im Austausch mit dem Kreisjugendring Landkreis Karlsruhe wurde als zentraler Gelingensfaktor für die dort mittlerweile teils begehrten Delegiertenplätze der Verbände auf den Mitgliederversammlungen das Agieren auf Augenhöhe benannt. Der Jugendring versucht mit Sprecher*innenwechseln Abwechslung in die Versammlung zu bringen und legt dabei großen Wert auf die Authentizität der Sprecher*innen in ihrer jeweiligen Rolle. Sie wollen nicht wie eine „ausführende Kontrollinstanz“ wirken, sondern den Spaß in der eigenen Arbeit rüberbringen und mit den Delegierten auf einer Ebene, auf einer Wellenlänge agieren. „Dabei ist es natürlich wichtig, die Versammlung satzungsgemäß durchzuführen und gut vorbereitet zu sein“, so Sarah D. Tornow aus der Geschäftsstelle des Kreisjugendrings. „Aber wenn doch mal Unklarheiten auftauchen, nehmen wir das mit Humor – schließlich geht es nicht nur um Regeln, sondern auch um eine herzliche und entspannte Atmosphäre, in der sich alle wohlfühlen.“
Gerne können die namentlich genannten Jugendringe und Verbände auf ihre Umsetzung kreativer Methoden in den Versammlungen angesprochen werden. Nachahmung erwünscht 😉
Literatur
Bayrischer Jugendring 2019 (Hrsg.): Vollversammlung für Stadt- und Kreisjugendringe. Informationen, Regeln und Tipps für eine erfolgreiche SJR/KJR-Vollversammlung. Online URL: https://shop.bjr.de/media/pdf/65/22/29/0670_AH-Vollversammlung5d5a6b7fd8ff5.pdf. Letzter Zugriff am 21.03.2025.
Klett 2010 (Hrsg.): Eine Fishbowl*-Diskussion durchführen. Dafür oder dagegen? Deutsch.Kombi plus 3A. Arbeitsblatt 313273, S. 23. Online URL: https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/Arbeitsblatt_313273_0023.pdf. Letzter Zugriff am 21.03.2025.
Kroker, Bettina 2024: Unterrichtsmethode Speed-Dating. Online URL:
https://www.betzold.de/blog/unterrichtsmethode-speed-dating/?srsltid=AfmBOor9Ef4RnffUWRbyOYshvtkoWkKRmmbuFxtldFKu7_JyLRSs-ifd. Letzter Zugriff am 21.03.2025.
Methodenkartei 2025 (Hrsg.): World Café. Methodenkartei. Ein Kooperationsprojekt an den Universitäten Oldenburg und Vechta. Online URL: https://www.methodenkartei.uni-oldenburg.de/methode/world-cafe/. Letzter Zugriff am 21.03.2025.