Ländliches Engagement gestalten – Wege für junge Menschen öffnen
Engagement ist ein Herzstück lebendiger ländlicher Regionen. Junge Menschen bringen frische Ideen in ihre Vereine, Kommunen und Initiativen ein, gestalten Freizeitangebote mit und setzen Impulse für gesellschaftlichen Wandel. Doch vielerorts fehlen ihnen die nötigen Strukturen und Gelegenheiten, sich einzubringen. Besonders in ländlichen Regionen wirken sich Abwanderung, mangelnde Infrastruktur und eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten auf das Engagementverhalten aus. Gleichzeitig bieten genau diese Räume Chancen: Ein starkes Gemeinschaftsgefühl und enge Bindung an die Heimat sind wertvolle Faktoren. Welche Potenziale für die Engagementförderung schlummern hier und welche Strategien können sich bewähren?
Engagement voranbringen – wo junge Menschen ausgebremst werden
Viele junge Menschen stoßen in ländlichen Räumen auf strukturelle Hürden, wenn sie sich engagieren möchten. Es gibt oft zu wenige Orte, an denen sich junge Menschen spontan treffen und vernetzen können – fehlende Treffpunkte erschweren den Austausch und die Umsetzung eigener Projekte.
Wer eigene Ideen verwirklichen will – sei es ein Sportangebot, ein Jugendfestival oder eine Klimaschutzaktion – muss sich darüber hinaus auch noch durch Anträge, rechtliche Vorgaben und entsprechende Genehmigungsverfahren und Förderrichtlinien kämpfen. Statt Unterstützung erleben viele Unsicherheit: Wer hilft mir, wenn ich etwas starten will? Woher bekomme ich das notwendige Wissen?
Viele Vereine sind fester Bestandteil des sozialen Lebens. Doch sie kämpfen mit Nachwuchsproblemen, während sich (Leitungs-)Aufgaben auf wenige Schultern verteilen. Das wiederum erschwert es Vereinen, den Einstieg für junge Engagierte gut zu gestalten. Oft wird nicht aktiv darauf hingewiesen, welche Zugänge es gibt; es fehlt an klarer Kommunikation, wo und wie man sich engagieren kann.
Wer nicht bereits Teil eines Vereins ist oder persönliche Kontakte hat, erfährt oft nur zufällig von solchen Möglichkeiten. Eine vage Gestaltung des Einstiegs in das Verbandsleben erschwert das Hereinkommen zusätzlich. Das gilt insbesondere für junge Menschen, die neu in eine Gemeinde ziehen oder nach einer Pause wieder aktiv werden möchten. Es fehlen gezielte Aktionen, die Engagementräume präsentieren und auch den konkreten Bedarf des Vereins aufzeigen. In der Außenkommunikation steht oft die Selbstdarstellung im Vordergrund. Doch was wirkt einladender auf eine Person, die nach konkreten Engagementmöglichkeiten sucht: „Wir bieten regelmäßig Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche an“ oder doch: „Willst du uns helfen, Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche zu gestalten“, gekoppelt mit einem konkreten Termin zum gegenseitigen Beschnuppern?
Ländliche Chancen nutzen – Wie Engagement gelingen kann
Gerade der ländliche Raum bietet besondere Möglichkeiten für junges Engagement. In kleinen Gemeinden sind Netzwerke eng verzahnt, man kennt sich. So lassen sich Projekte oft schneller realisieren als in urbanen Regionen, Entscheidungen können oft auf kurzem Wege getroffen werden. Gleichzeitig stärkt die hohe Identifikation mit der Heimat oder auch schlicht der Wunsch nach Freizeitgestaltung und Gemeinschaft die Motivation, sich langfristig einzubringen.
Besonders wertvoll sind Kooperationen lokaler Akteure. Viele Kommunen setzen bereits auf Jugendsprechstunden oder ermöglichen Jugendlichen die Teilnahme an Gemeinderatssitzungen, um ihre Perspektiven stärker in politische Entscheidungsfindungen einzubinden (Bliestle et al. 2023, S. 33). Unternehmen bieten in ländlichen Regionen zunehmend Programme an, die ehrenamtliches Engagement mit beruflichen Perspektiven verknüpfen – eine Chance, um junge Menschen frühzeitig in das soziale Leben vor Ort zu integrieren (Deutscher Landkreistag 2023, S.88 ff).
Damit dieses Potenzial genutzt wird, braucht es Räume für junge Menschen sowie Ansprechpersonen, die sie auf ihrem Weg begleiten. Erfolgreiche Modelle wie Jugendclubs in Mehrgenerationenhäusern, mobile Beteiligungsteams oder Jugendfonds zeigen, dass mit kreativen Ansätzen echte Mitgestaltung ermöglicht werden kann – mit positiven Effekten für die gesamte Gemeinde.
Best Practice: Der Jugendverein ChillOut e.V. und die Interessengemeinschaft offene Jugendarbeit in Dellmensingen
Ein gelungenes Beispiel für Beteiligung und Engagementförderung im ländlichen Raum liefert der Jugendverein ChillOut und die Interessengemeinschaft offene Jugendarbeit in Dellmensingen. Der Ortsteil von Erbach mit rund 2.800 Einwohner*innen ist ländlich gelegen und bietet nur begrenzte Treffunkte für Jugendliche. Sobald sie auf die weiterführende Schule kommen, pendeln die Schüler*innen täglich in umliegende Orte, wodurch der regelmäßige Kontakt zu Gleichaltrigen aus dem Wohnort erschwert wird. Der Jugendverein ChillOut setzt sich seit vielen Jahren aktiv dafür ein, Räume zu schaffen, in denen junge Menschen sich wohnortnah treffen, Ideen verwirklichen und aktiv am Dorfleben teilnehmen können.
Ein wichtiger Impuls hierfür war der Dorfspaziergang, ein Beteiligungsformat aus dem Aktionsbaukasten Land der Jugendstiftung. Die Jugendlichen erkundeten ihr Dorf und analysierten, welche Orte sie als positiv oder verbesserungswürdig empfanden. Gemeinsam mit einer Teamerin entwickelten sie Vorschläge zur Gestaltung ihres Wohnortes und formulierten konkrete Ideen für dessen Weiterentwicklung. Finanziert wurde dieses Vorhaben durch das Programm DSEE initiativ!.
Aus diesem Prozess entstanden greifbare Ideen. So entwickelten die Jugendlichen den Bedarf einer Fahrradtrainingsstrecke und äußerten den Wunsch nach zusätzlichen Räumlichkeiten für ihre Jugendarbeit. Die Ortsvorsteherin reagierte positiv, besuchte die Jugendlichen mit drei weiteren Ortschaftsrät*innen und sicherte ihnen bei dem Treffen die Nutzung der Turnhalle für ein offenes Jugendangebot „Spaß und Action“ zu. Damit wurde nicht nur eine unmittelbare Verbesserung geschaffen, sondern auch ein nachhaltiger Austausch zwischen jungen Engagierten und der Ortsverwaltung angestoßen.
Das Beispiel zeigt, wie Jugendbeteiligung, Vernetzung und schließlich auch Engagementförderung im ländlichen Raum erfolgreich gelingen kann. Junge Menschen müssen nicht nur gehört, sondern ernst genommen werden. Ihre Ideen sollten nicht in Konzeptpapieren verschwinden, sondern zeitnah, für die beteiligten Jugendlichen selbst (noch) sichtbare Veränderungen bewirken. Wenn junge Menschen erleben, dass ihr Einsatz spürbare Verbesserungen für ihre Umgebung schafft, entsteht eine Dynamik, die über einzelne Projekte hinausreicht und das Engagement in der gesamten Gemeinde stärkt.
Strategien für erfolgreiche Engagementförderung
Damit junges Engagement im ländlichen Raum gestärkt wird, hilft:
- Zielgruppengerechte Ansprache: Junge Menschen müssen dort abgeholt werden, wo sie sind – in Schulen, Vereinen oder digitalen Räumen. Direkte Einladung, z. B. per Brief und persönliche Ansprachen sind oft wirkungsvoller als allgemeine Aufrufe durch Plakate o. ä.
Im Projekt FerienOnEhrenamt der Regionalstelle Südwürttemberg und des KJR Biberach hat sich die persönliche Vorstellung des Projekts in den Schulen bewährt. Das hat den direkten Kontakt erleichtert und die Hemmschwelle für eine erste Engagementerfahrung deutlich gesenkt. Außerdem konnten Schüler*innen durch einen Engagement-Typen-Test individuell passende Ehrenamtsangebote entdecken, was das Commitment erhöhen kann. - Digitale Werkzeuge nutzen: Online-Plattformen, Social Media und digitale Engagementbörsen (Aktion Mensch, DBJR/Juleica)verbessern die Sichtbarkeit und Reichweite von Angeboten.
Besonders wichtig ist es gerade bei Social Media Auftritten, regelmäßig aus der eigenen Arbeit zu berichten, sodass sich Interessierte vorab ein Bild machen können. Leider werden Social Media Auftritte oft vorweigend zur Bewerbung der eigenen Angebote genutzt – eine gute Balance zwischen Werbung und Berichten bzw. Impressionen aus dem Vereinsleben ist für die Beziehungsarbeit wichtig. - Eine gut gepflegte Webseite mit festen Ansprechpartner*innen und dem konkreten Hinweis, dass der Verein Ehrenamtliche sucht und ein Einstieg jederzeit möglich ist, gepaart mit Anlässen zum ungezwungenen gegenseitigen Kennenlernen, kann viele Hürden abbauen.
- Flexibilität ermöglichen: Viele junge Menschen möchten sich engagieren, aber (vorerst) nicht langfristig binden. Projektbezogenes Ehrenamt, befristete Aufgaben oder spontane Mitmach-Aktionen erleichtern den Einstieg und senken die Schwelle zur Beteiligung.
- Nachhaltige Netzwerke aufbauen: Kooperationen mit Schulen/Schulsozialarbeit, Jugendhäusern, Kommunen und Unternehmen schaffen langfristige Strukturen und Synergien, die Engagement attraktiver und zugänglicher machen.
- Kreative Veranstaltungsformate entwickeln: Offene Jugendcafés, Barcamps, Zukunftswerkstätten oder Beteiligungsfonds ermöglichen neue Formen der Mitgestaltung und lassen Raum für eigene Ideen.
Fazit: Jetzt ins Handeln kommen!
Junges Engagement im ländlichen Raum braucht gezielte Unterstützung. Kommunen, Vereine und Organisationen sind gefragt diesen Weg aktiv zu begleiten, indem sie junge Engagierte ernst nehmen, sie in Entscheidungen einbinden und ihnen Räume zur Entfaltung bieten. Es gibt bereits zahlreiche gute Ansätze die zeigen, dass Engagementförderung funktioniert und die sich gut auf die eigene Situation anpassen lassen. Das wichtigste ist aber die gelebte Demokratie: Dort, wo junge Menschen mitgestalten können, entstehen lebendige, zukunftsfähige Gemeinden.
Ihr wollt junges Engagement im ländlichen Raum stärken?
Die Regionalstellen vom Projekt „The Länd of Young Ehrenamt“ bieten Beratung, Unterstützung und Vernetzungsmöglichkeiten. Meldet euch gerne bei uns!
Literatur & Links:
Aktionsbaukasten für den Ländlichen Raum: https://studie.land/aktionsbaukasten/
Antes, W., Wenzl, U., & Wichmann, S. (with Jugendstiftung Baden-Württemberg). (2022). Jugend im ländlichen Raum Baden-Württembergs: Aufwachsen – Mitgestalten – Leben. Schneider Verlag Hohengehren GmbH. https://studie.land/wp-content/uploads/2022/01/Studie_Land_220110.pdf
Bliestle, J., Hamra, S., Roß, P.-S., & Saile, N. (2023). Forschungsbericht „Fit für die Zukunft?“. Institut für angewandte Sozialwissenschaften Stuttgart.
Deutscher Landkreistag (Hrsg.). (2023). Hauptamt stärkt Ehrenamt. Ansatzpunkte, Ideen, gute Beispiele.
Jugendstiftung Baden-Württemberg. (2023). Jung & Engagiert im Ländlichen Raum: Ehrenamtliches Engagement am Übergang zum Erwachsenenalter im Ländlichen Raum Baden-Württembergs. https://studie.land/wp-content/uploads/2024/01/Jung_und_Engagiert_2023.pdf