DBJR: Forderungen an die Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020

Position des Deutschen Bundesjugendrings vom 07.07.2020

[…] Die Corona-Pandemie und die bereits abzusehende Krise sind aber auch ein guter Ausgangspunkt, um handlungsfähiger zu werden und am Ende gemeinsam gestärkt aus der Situation hervorzugehen. Wir erwarten, dass Deutschland im Sinne des im Koalitionsvertrag beschriebenen „neuen Aufbruch für Europa“ eine aktive, gestaltende Rolle einnimmt. Auch wenn die Möglichkeiten einer Ratspräsidentschaft begrenzt sind, hat sich nicht zuletzt in der Pandemie gezeigt, dass eine grundlegende Reform der EU notwendig ist. Europäische Herausforderungen brauchen europäische Lösungen: Daran möchte der DBJR mitarbeiten. Für die Ratspräsidentschaft hat der DBJR deshalb sechs politische Schwerpunkte gesetzt.

Wir fordern, dass die deutsche Ratspräsidentschaft folgende Punkte konkret vorantreibt:

  • Eine starke Youth Work Agenda, die Jugendarbeit in Europa fördert
  • Ein demokratisches Europa, das Grundrechte ins Zentrum stellt
  • Ein Europa, in dem junge Menschen sich ohne Hindernisse austauschen können
  • Eine europäische Sozialpolitik, die die Schieflage ausgleicht
  • Eine Europäische Klima- und Nachhaltigkeitspolitik, die die Klimakrise überwindet
  • Eine Europäische Asyl- und Migrationspolitik, die mit den europäischen Werten vereinbar ist

Zentral für all diese Themen sind ein zügiger Abschluss der MFR-Verhandlungen und die Aufstockung des EU-Haushalts. Wir begrüßen, dass sich die Bundesregierung für eine Aufstockung und Weiterentwicklung des EU-Haushalts einsetzen wird. Wir erwarten aber, dass sie gemäß Koalitionsvertrag den deutschen Beitrag erhöht und hierdurch auch eine Vorreiterrolle innerhalb der Mitgliedsstaaten einnimmt. Gerade in Zeiten, in denen aufgrund geschlossener Grenzen und mangelnder Solidarität die EU wieder gestärkt werden muss, braucht es mindestens eine Verdreifachung des Erasmus+ Programmes.

Eine starke Youth Work Agenda, die Jugendarbeit in Europa fördert

Für die Ratspräsidentschaft ist angekündigt, dass die Jugendarbeit mit einer „Youth Work Agenda“ gestärkt werden soll. Dazu hat der DBJR im Mai 2020 eine eigene Stellungnahme verabschiedet [4]. Die Agenda soll die Koordination der Mitgliedstaaten verstärken, um in ganz Europa die Rahmenbedingungen für gutes „Youth Work“ zu schaffen und Jugendaustausch zu ermöglichen. Konkret erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie sich für die folgenden vier Punkte stark macht:

  • Rechtliche Verankerung und strukturelle Förderung: Stärkung der Rolle der Jugendverbände und -ringe
  • Wirksame Beteiligung junger Menschen auf allen Ebenen
  • Umsetzung der EU-Jugendziele in den Mitgliedstaaten
  • Qualitätssicherung der Kinder- und Jugendarbeit

Nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie muss die Youth Work Agenda einen Fokus auf die Sicherung und den Ausbau der Arbeit der Jugendverbände und -ringe in Europa legen, sowohl aus politischer als auch aus finanzieller Perspektive. Die Rolle der Jugendverbände als Werkstätten der Demokratie und als inklusive und lokal verankerte Mittler ist zentral für Youth Work. Vor Ort gewachsene Strukturen sowie demokratisch organisierte Jugendverbände sind strukturell und finanziell zu fördern. Dafür ist in allen Mitgliedstaaten ein gesetzlicher Rahmen notwendig, der sowohl die rechtliche Anerkennung als auch die finanzielle Förderung der entsprechenden Strukturen auf Dauer sicherstellt.

Dabei müssen die besonderen Bedarfe in den Ländern berücksichtigt werden. Zudem sieht der DBJR die Fokussierung auf die Validierung beispielsweise beim Youth Pass kritisch, weil diese Anerkennung das Ehrenamt auf Bildungsoutcomes reduziert. Jugend(verbands)arbeit ist mehr als Bildung: Sie braucht Freiräume und kann dementsprechend nicht validiert werden.

Wirksame Beteiligung und Mitbestimmung junger Menschen an allen sie betreffenden Angelegenheiten sollte ein weiterer zentraler Bestandteil der Youth Work Agenda sein. Junge Menschen zu beteiligen stärkt die demokratische Gesellschaft und die europäische Identität nachhaltig. Die Youth Work Agenda soll anhand des Vorbilds des Co-Managements im Europarat Instrumente zur wirksamen Beteiligung junger Menschen auf EU Ebene entwickeln, um eine gemeinsame Verantwortung für inhaltliche und finanzielle Ausgestaltung der Jugendpolitik zu ermöglichen. Ein weiteres gutes Beispiel für Beteiligung sind die EU-Jugendziele, für deren Umsetzung die Youth Work Agenda einen Rahmen bieten muss.

Ein demokratisches Europa, das Grundrechte ins Zentrum stellt

Angekündigt wurde die Verabschiedung von „Schlussfolgerungen zu Demokratie und Jugend in Europa“ im Jugendminister*innenrat. Die Bundesregierung möchte mit der Konferenz zur Zukunft der EU einen Dialog mit den Bürger*innen führen. Darüber hinaus will sie sich für die Stärkung der Grundwerte und der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU einzusetzen.

Dies alles sind zentrale Themen für Jugendverbände und -ringe. Gerade zur Stärkung der europäischen Demokratie und der strukturellen Mitbestimmung der Jugend hätten wir uns mehr Ambitionen und konkrete Vorhaben von der Bundesregierung gewünscht. Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung für die folgenden drei Punkte einsetzt:

  • Beteiligung ernst nehmen: u.a. Einbindung der Ergebnisse der EU-Jugendkonferenz
  • Konferenz zur Zukunft der EU: Verbindlicher und ergebnisoffener Prozess sowie strukturelle Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft
  • Rechtsstaatlichkeitsmechanismus bei Vergabe der Fördergelder ohne Einbußen für Zivilgesellschaft

Wir erwarten, dass strukturelle Beteiligung junger Menschen als zentraler Teil von Demokratie ernstgenommen wird und konkrete Vorschläge zur Mitbestimmung von jungen Menschen an europäischer Politik in den Schlussfolgerungen zu Demokratie und Jugend aufgenommen werden. Die Ergebnisse der EU-Jugendkonferenz, die im Rahmen der Ratspräsidentschaft in Berlin stattfindet, müssen darin beispielsweise vorkommen.

Zur Konferenz zur Zukunft der EU hätten wir uns mehr Ambitionen im Programm gewünscht. Die Konferenz bietet eine gute Möglichkeit, längst fällige Reformen – wie zum Beispiel die Stärkung des Europäischen Parlaments – mutig voranzutreiben. In den inter-institutionellen Verhandlungen dürfen Vertragsänderungen kein Tabu sein. Zudem ist es zentral, dass die organisierte Zivilgesellschaft beteiligt wird. Nur so ist eine nachhaltige Beteiligung möglich. Dies würde auch der Ankündigung der Bundesregierung Rechnung tragen, eine aktive Zivilgesellschaft fördern zu wollen.

Die EU muss ein Garant für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa sein. In der DBJR-Grundsatzposition von 2018 haben wir ein Anreizsystem für Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Förderprogramme gefordert. [5] Wir begrüßen daher, dass die Bundesregierung die Grundwerte innerhalb der EU stärken möchte und den Kommissionsvorschlag zur Verknüpfung von EU-Haushaltsmitteln mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards unterstützt. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Gelder für zivilgesellschaftliche Strukturen nicht gekürzt werden. Weil sie in dieser Situation besonders gebraucht werden, könnte man darüber nachdenken, die Fördergelder auf europäischer Ebene zentral zu vergeben.

Ein Europa, in dem junge Menschen sich freiwillig engagieren und miteinander austauschen

Für die Ratspräsidentschaft wurde auch eine Reform der Empfehlung zur Mobilität junger Freiwilliger von 2008 angekündigt. Dies ist notwendig geworden, weil der Solidaritätskorps den Europäischen Freiwilligendienst ersetzt hat. Der Reformvorschlag kommt von der Kommission, danach soll die Empfehlung im Jugendminister*innenrat diskutiert werden. Zudem laufen aktuell gleichzeitig zu den MFR-Verhandlungen auch die Verhandlungen zur Ausgestaltung der einzelnen Programme und deren Fördersummen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie folgende Punkte vorantreibt:

  • Freiwilligendienste sind Lerndienste und dürfen nicht verzweckt werden.
  • Freiwilligendienste sind arbeitsmarktneutral.
  • Erhöhung der Gelder für die Jugendprogramme im Rahmen der MFR Verhandlungen

Wir bedauern, dass mit dem Europäischen Freiwilligendienst ein funktionierendes Programm zu Ende gegangen ist. Die Reform, bei der die Zivilgesellschaft nicht eingebunden wurde, bedeutet auch ein Paradigmenwechsel von Freiwilligenarbeit zu Solidarität. Diese Solidarität ist ohne Zweifel notwendig in Europa, aber ob junge Menschen das nun mit einem „Gemeinschaftsdienst“ ausgleichen sollten, bleibt fraglich. Die weiteren geplanten Komponenten der humanitären Hilfe sowie der Jobs und Praktika führen zu einer Verzweckung des freiwilligen Engagements. Der Bildungscharakter und die entsprechende pädagogische Begleitung dürfen beim Freiwilligendienst nicht vernachlässigt werden. Gerade in dieser Hinsicht spielen die zivilgesellschaftlichen Träger eine zentrale Rolle, welche aktuell zu kurz kommt. Der Solidaritätskorps muss zudem die Altersgrenze behalten und ein Jugendprogramm bleiben.

Die Pandemie hat die Herausforderungen junger Freiwilliger weiter verstärkt. Viele junge Menschen mussten ihren Freiwilligendienst abbrechen, was erhebliche Kosten verursacht hat. Aber auch ohne Krise gibt es Hindernisse in Europa, die den Freiwilligendienst erschweren – diese müssen beseitigt werden.

Für die Stärkung des Zusammenhalts und der europäischen Integration sind Jugendaustausche und Freiwilligendienste zentral. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie sich für eine Erhöhung der Gelder in den Jugendprogrammen Erasmus+ und Solidaritätskorps im Rahmen der MFR-Verhandlungen einsetzt. Insbesondere wenn das neue „DiscoverEU“ dazu kommt, führt das im schlimmsten Fall für den Bereich Jugendaustausch und Freiwilligendienst zu einer Kürzung.

Eine europäische Sozialpolitik, die Schieflagen ausgleicht

Die Pandemie hat die soziale Situation vieler (junger) Menschen verschärft. Bereits davor waren 26,3 Prozent der jungen Menschen von Armut oder sozialer Exklusion bedroht. [6] Die Krise kann nur überwunden werden, wenn Solidarität zwischen Menschen und Mitgliedstaaten eine Priorität der EU wird. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat angekündigt, die soziale Aufwärtskonvergenz voranzutreiben sowie Rahmen für nationale Mindestlöhne und für nationale Grundsicherungssysteme zu entwickeln. Die Bundesregierung möchte die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen und den Europäischen Sozialfonds+ (ESF+) entsprechend ausstatten. Die Kommission hat eine Stärkung der Jugendgarantie vorgeschlagen, die im 2. Halbjahr 2020 verhandelt wird. Zudem legt die Bundesregierung einen Schwerpunkt auf berufliche Bildung.

Diese Vorhaben begrüßen wir und erwarten, dass daraus bindende Vorgaben für ein soziales Europa entstehen. Die europäische Säule sozialer Rechte muss mittels verbindlicher Gesetze umgesetzt werden. Zudem muss die Förderung der Sozial- und Jugendbeschäftigungspolitik im Rahmen der MFR-Verhandlungen ausgebaut werden, um den größer werdenden europäischen Aufgaben gerecht zu werden. Wir erwarten konkrete Fortschritte, um die soziale Situation junger Menschen in Europa zu verbessern:

  • Angemessene Finanzierung des ESF+ und europäische Zweckbindung der ESF+-Gelder für Kinder- und Jugendgarantie im Rahmen der MFR Verhandlungen [7]
  • Mandat im Rat für eine Stärkung der Jugendgarantie
  • Ein europaweites Rechts auf eine Berufsausbildung

Im neuen MFR-Vorschlag wurden die ESF+-Gelder im Vergleich zu Mai 2018 gekürzt. Auch der vorgesehene Anteil für Jugendbeschäftigung wurde im Vergleich zur aktuellen Förderperiode reduziert. Nicht zuletzt angesichts der erneuten Krise muss der ESF+ gut ausgestattet sein, um u.a. Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir unterstützen die Position des Parlaments, dass die Zweckbindungen pro Mitgliedstaat sowohl für soziale Inklusion als auch für Jugendbeschäftigung erhöht werden müssen. Zudem müssen die aktuell veranschlagten sechs Milliarden Euro für Jugendbeschäftigung auch in der nächsten Periode zweckgebunden werden.

Jugendliche und junge Erwachsene sind öfter prekär beschäftigt. Und sie sind auch oft die Ersten, die in Krisen arbeitslos werden. 2019 waren 27 Prozent der 15- bis 29-Jährigen unfreiwillig in Teilzeit angestellt.[8] Deshalb muss die Jugendgarantie[9] dringend gestärkt werden: Es braucht Mindeststandards für die Qualität der Angebote, die im Rahmen der Jugendgarantie angeboten werden. Ein Qualitätsmerkmal für die Jugendgarantie ist eine langfristige Beschäftigungsaussicht, was oft mit einer Berufsausbildung erreicht wird. Um ein europaweites Recht auf eine gute Berufsausbildung umzusetzen, braucht es gemeinsame Regeln, die junge Menschen vor zunehmender Präkarisierung schützen. Diese Punkte muss die Ratspräsidentschaft im Rat für Bildung vorantreiben.

Eine Klima- und Nachhaltigkeitspolitik, die die Klimakrise überwindet

Um den Klimawandel zu stoppen, braucht es einen Systemwechsel.[10] Der Green Deal, der Ende 2019 vorgestellt wurde, zielt darauf ab, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Er umfasst ein Paket von rund 50 Maßnahmen. Mit einem Klimaschutzgesetz will die Kommission die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Der Just Transition Fund soll Länder, die besonders betroffen sind, bei der Umstellung auf eine emissionsfreie Wirtschaft unterstützen. Begleitet werden die Initiativen von einem Klimapakt, der die Klimapolitik besser kommunizieren möchte.

Die Bundesregierung ist gefordert, die richtigen Weichen zu stellen: Viele der Initiativen müssen möglichst bald entscheidende Schritte machen. Deutschland hat angekündigt, die Umsetzung des Green Deals zu begleiten und die Verhandlungen zum Klimagesetz bis zum Ende des Jahres abzuschließen. Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass insbesondere das Klimagesetz und das Klimapakt, sowie die Verhandlungen zu den national festgelegten Beiträgen im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens durch folgenden Punkten ambitionierter werden:

  • Die Reduktion der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent bis 2030
  • Sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft im Sinne der 2030 Agenda
  • Angemessene Förderung des Just Transition Funds und die Übergangsförderung nur mit klaren Stilllegungskriterien für fossil-thermische Kraftwerke
  • Zum Klimapakt eine wirksame Beteiligung von jungen Menschen an der Klimapolitik

Europa hat als Kontinent die besten Voraussetzungen, die Klimakrise zu bewältigen. Dieser Vorreiterrolle muss die EU insbesondere in der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens gerecht werden. Der Green Deal geht in die richtige Richtung; Klimaneutralität wird es aber deutlich vor 2050 brauchen, um das 1,5 Grad-Celsius-Ziel einzuhalten. Es braucht eine sozial-ökologische Transformation aller Gesellschaftsbereiche im Sinne der Agenda 2030. Dazu gehört auch im Rahmen der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakt, den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität für Investitionen zu geben und die strikte EU-Haushaltspolitik aufzugeben.

Wir begrüßen den Just Transition Fund als solidarisches Mittel innerhalb Europas. Zehn Milliarden Euro reichen aber nicht aus, um die Kosten des Übergangs gemeinsam zu tragen. Es braucht klare Stilllegungskriterien und Kriterien für die substantielle Reduktion des CO2-Ausstoßes für Regionen, die von diesem Fonds profitieren wollen. Es muss sichergestellt werden, dass das Geld in den betroffenen Regionen ankommt und genutzt wird, um berufliche Perspektiven für betroffene Arbeitnehmer*innen zu schaffen.

Junge Menschen bringen sich stark in die Debatte um Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein. Wir begrüßen den Klimapakt als Instrument, um nachhaltige Aktionen zu kommunizieren. Darüber reden reicht aber nicht aus: Wirksame Beteiligung junger Menschen an der Klima- und Nachhaltigkeitspolitik muss im Rahmen des Klimapakts institutionalisiert werden.

Eine Asyl- und Migrationspolitik, die auf den europäischen Werten basiert

„Was an den europäischen Außengrenzen passiert, ist schwer in Worte zu fassen.“ So haben wir es in unserer Grundsatzposition 2018 geschrieben. Leider hat sich die Situation seither verschlimmert: Täglich sterben Menschen im Mittelmeer. Es gibt illegale Pushbacks, zum Teil aufs offene Meer hinaus. Überfüllte Lager wie in Moria werden auf griechischen Inseln errichtet. Europa macht die Grenzen dicht. Diese fehlgeleitete Politik entfernt sich immer weiter von Menschenrechten und Menschenwürde – den gemeinsamen europäischen Werten. Sie muss dringend beendet werden.

Um im nächsten halben Jahr konkrete Fortschritte in der Europäischen Asyl- und Migrationspolitik zu erzielen, erwarten wir drei Dinge von der deutschen Bundesregierung:

  • Mandat im Rat der EU zur Reform des europäischen Asylsystems
  • Sicherstellung der Seenotrettung im Mittelmeer und Räumung der überfüllten Lager wie zu Beispiel in Moria auf Lesbos
  • Sicherstellung der Reisefreiheit von jungen Geflüchteten im Rahmen von Jugendverbandsmaßnahmen

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung ambitioniert ist, das Europäische Asylsystem reformieren zu wollen, um ein faires, funktionsfähiges, effizientes und krisenfestes System zu schaffen. Das neue System soll humanitären Standards gerecht werden und die Überlastung einzelner Mitgliedstaaten verhindern. Leider möchte die Regierung auch Frontex ausbauen, um verbindliche Verfahren an den EU-Außengrenzen einzuführen. Dieses Vorhaben lehnen wir strikt ab. Die EU braucht ein europäisches Asylsystem, das solidarisch mit flüchtenden Menschen umgeht und mit den europäischen Werten vereinbar ist.

In der Reform muss sichergestellt werden, dass die europäische Reisefreiheit bei Jugendverbandsmaßnahmen auch für junge Flüchtende gilt. Jugendlichen mit Duldungsstatus sowie sich im Asylverfahren befindenden Jugendlichen ist oft nicht erlaubt, an außerschulischen Jugendbildungsmaßnahmen außerhalb Deutschlands teilzunehmen. Bei Klassenfahrten besteht ein Rechtsanspruch auf Teilnahme für geflüchtete Schüler*innen, der durch die sogenannte „Schüler*innensammelliste“ sichergestellt wird. Ein analoger Anspruch an außerschulischen Bildungsfahrten muss ermöglicht werden.

Die EU muss zudem ihren völker- und rechtsstaatlichen Verpflichtungen Schutzsuchenden gegenüber in vollem Umfang gerecht werden. Die Kriminalisierung von zivilen Seenotretter*innen muss umgehend beendet werden. Es braucht eine europäische Einwanderungspolitik mit einer solidarischen und fairen Verteilung mit einer europäischen Asylbehörde geschaffen werden. Dies ist unsere humanitäre Pflicht – die Aufnahme von Flüchtenden bedarf keiner finanziellen Kompensation.

Mit diesen sechs Schwerpunkten möchten wir als Jugendverbände und -ringe die deutsche Ratspräsidentschaft mitgestalten. Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihrer aktiven Rolle gerecht wird. Im aktuellen Zustand der EU sind diese sechs Schwerpunkte zentral: Damit die EU wieder handlungsfähig wird, die Mitgliedstaaten solidarisch und gerecht zusammenarbeiten und die junge Generation in einem besseren Europa leben kann.

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[1] https://www.eu2020.de/blob/2360246/d08098eaeb179a722d91d99f529d5517/pdf-programm-de-data.pdf

[2] https://www.eu2020.de/blob/2354328/2c2c22db16d6bc2b6336867455b56bbb/pdf-trioprogramme-de-data.pdf

[3] Als Teil des neuen MFRs wurde ein Aufbauinstrument „Next GenerationEU“ gegen die durch die Pandemie ausgelöste Rezession vorgeschlagen. Das Instrument besteht aus Krediten und zum ersten Mal auch aus Zuschüssen, die EU könnte dann gemeinsam Schulden aufnehmen. Weitere Informationen hier: ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response/recovery-plan-europe_de

[4] https://www.dbjr.de/fileadmin/Stellungnahmen/2020/DBJR-Stellungname-youthwork-2020.pdf

[5] https://www.dbjr.de/fileadmin/Positionen/2018/2018-DBJR-VV-POSITION-v1-europa.pdf

[6] 2018: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Young_people_-_social_inclusion

[7] ESF+ Gelder werden für einen bestimmten Zweck an Mitgliedstaaten vergeben. Bei der Zweckbindung wird oft lange diskutiert, welche Prozentzahlen die jeweiligen Zwecke in Fördertopfen erhalten.

[8] Eurostat: appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do

[9] 2013 wurde eine Empfehlung an Mitgliedstaaten verabschiedet, die jungen Menschen nach sechs Monaten nach Abschluss der Ausbildung oder Bildung einen Job, weiterführende Bildung oder eine Ausbildung garantiert. Weitere Informationen hier: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1079&langId=de

[10] Zum Thema Nachhaltigkeit hat sich der DBJR ausführlich in der Grundsatzposition 2018 positioniert: www.dbjr.de/themen/nachhaltigkeit/. Darin befinden sich auch weitere Positionen zu umweltfreundlicher Mobilität, umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft, Biodiversität und Konsum.