Nur einen kleinen Schritt entfernt?
Engagement wirkt demokratiefördernd und ermöglicht es unter anderem, sich im eigenen Handeln als wirksam zu erleben. Doch das können nicht alle Menschen gleichermaßen erfahren. Der Beitrag stellt einzelne Zugangshürden vor, gibt Tipps zum Abbau dieser und leitet Handlungsempfehlungen für die Jugendverbandsarbeit ab.
Der diesem Impuls zugrundeliegende Vierte Engagementbericht der Bundesregierung wirft einen kritischen Blick auf Zugangschancen zu freiwilligem Engagement. Er benennt Schwellen bzw. Hürden, die den Zugang zu Vereinen und Organisationen für bestimmte soziale Gruppen besonders erschweren.
Was erschwert das Aktivwerden
Ob, wieviel und in welchen Positionen sich Menschen engagieren, hängt unter anderem mit finanziellen Ressourcen und schulischem Bildungsgrad zusammen. Das ist keine neue Erkenntnis. Der Vierte Engagementbericht geht der Fragestellung nach, wie sich gesellschaftlich existierende soziale Ungleichheiten auch auf ungleiche Zugänge zu und im Engagement auswirken bzw. darin reproduzieren.
Der Bericht benennt folgende soziodemografische Merkmale, die sich auf den Zugang auswirken: Einkommen, Bildungsabschluss, Erwerbsstatus, Migrationshintergrund, Alter oder Behinderung. Demnach haben insbesondere Menschen mit einem niedrigen Schulabschluss, geringem Einkommen oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit seltener Berührungspunkte mit formalem freiwilligem Engagement.
Die Sachverständigenkommission des Vierten Engagementberichts definiert 13 Schwellen, die den Zugang zu Engagement erschweren können: strukturelle, soziale oder praktische Hürden. Sie sind oft unsichtbar und begleiten häufig den gesamten Engagementprozess. Das macht es nicht leicht, sie zu beseitigen – aber nicht unmöglich. Zu den Schwellen gehören Diskriminierung und Ansprache ebenso wie rechtliche oder finanzielle Voraussetzungen. Im Folgenden haben wir zwei Schwellen herausgepickt, die wir näher betrachten wollen.
Diskriminierung und Ansprache
Manche Hürden entstehen im praktischen Ausüben des Ehrenamts. Es kann zum Beispiel passieren, dass eine Person die verwendeten Worte nicht versteht und sich dadurch ausgeschlossen fühlt oder nicht teilhaben kann. Außerhalb des Engagements spielen gesellschaftliche Machtstrukturen und soziale Ungleichheiten eine Rolle. Eine Person, die Angehörige pflegt, hat vielleicht ein begrenzteres Zeitfenster für ein eigenes Engagement zur Verfügung.
„Stellen Sie sich das Zimmer einer alten Dame vor. Was sehen Sie? Ein gemütliches Sofa. Gerahmte Bilder der Enkel. Einen Fernseher älteren Modells. Vielleicht sogar ein Häkeldeckchen unter dem Telefon? Nun stellen Sie sich einen Banker vor. Trägt er einen Anzug? Hat er eine Krawatte? Ist das eine Rolex an seinem Handgelenk? Und jetzt: Stellen Sie sich einen Freiwilligen vor. Sitzt er im Rollstuhl? Hat er das Down-Syndrom?“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) e.V., 2017, S. 1)
Menschen, die Diskriminierung erfahren, agieren mitunter vorsichtiger und leben in der Annahme, dass sich bereits durchlebte Diskriminierungserfahrungen im Ehrenamt wiederholen könnten. Studienteilnehmende mit (zugeschriebenem) Migrationshintergrund berichten beispielsweise, dass ihnen in der Erledigung gewisser Aufgaben ein geringes Vertrauen entgegengebracht wird. Sie werden weniger als Engagierte, sondern eher als potentielle Teilnehmende an freiwilligen Angeboten wahrgenommen.
Repräsentation
Die persönliche Ansprache durch Bekannte ist in den meisten Fällen entscheidend dafür, dass sich Menschen engagieren. Weniger stark repräsentierte Gruppen im Engagement werden somit auch seltener neue Personen ansprechen und für ein Engagement begeistern. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Gruppe der Ehrenamtlichen relativ homogen bleibt. Anliegen und Ideen entsprechen den bereits etablierten Aktiven.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Menschen mit Migrationshintergrund stark im informellen Engagement, wie z.B. in der Nachbarschaftshilfe, vertreten sind. Dies wiederum deutet darauf hin, dass weniger Engagement in formalen Kontexten nicht auf geringere Motivation zurückzuführen ist.
Fatal an den skizzierten Zugangshemmnissen ist, dass Menschen, die nicht partizipieren, auch mit ihren Werten und Meinungen nicht sichtbar werden. Sie werden weniger gehört. Für eine plurale Gesellschaft ist es jedoch bedeutend, dass möglichst viele soziale Gruppen mitgestalten.
Was bedeuten die Schwellen für die Jugendverbandsarbeit?
Laut Sachverständigenkommission haben sich viele Jugendverbände und -ringe bereits auf den Weg gemacht, Zugangswege zur Teilnahme an ihren Angeboten und zum ehrenamtlichen Mitwirken zu ebnen. Jedoch bleibt eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Öffnungsprozessen bedeutend, um Ausschlussmechanismen zu erkennen.
Konkret gibt die Sachverständigenkommission Empfehlungen sowohl an die Bundesregierung, als auch an zivilgesellschaftliche Akteur*innen ab. Dazu gehört zum Beispiel die Anregung, Erfahrungsräume für Kinder und Jugendliche weiter zu fördern, da erlebte Partizipation auch ein späteres Engagement erleichtert.
Jugendorganisationen bieten ein enormes Potential, um Veränderungen in Gang zu setzen und mehr Menschen einen Zugang zu Engagement zu ermöglichen! Reflexionsfragen für Jugendverbände können einen prüfenden Blick auf die eigenen Strukturen und Zugangswege ermöglichen:
- Wie kommunizieren wir miteinander? Welche Machtstrukturen gibt es in unserer Organisation? Wie können wir Räume schaffen, sodass sich alle authentisch äußern können?
- Wie niedrigschwellig ist eine Teilnahme in unserem Verband möglich? Wie breit sind Engagementformen bei uns aufgestellt; kann zum Beispiel digital oder zeitlich flexibel teilgenommen werden?
- Wie setzen wir uns mit Diskriminierung auseinander? Gibt es Ansätze, um mit Anfeindungen von außen umzugehen? Wie kritisch blicken wir auf unsere eigenen Strukturen?
Um Zugangsbarrieren wirksam abzubauen, bedarf es einer diskriminierungskritischen Grundhaltung sowie der Bereitschaft, bestehende Strukturen kontinuierlich zu hinterfragen.
In einer Welt, in der jede*r Einzelne sich mit zahlreichen Anforderungen konfrontiert sieht, knappe Ressourcen und wachsende Arbeitsbelastung alltäglich sind, erscheint es bisweilen herausfordernd, eigene Strukturen kritisch zu hinterfragen. Doch auch kleine Schritte können einen Unterschied machen und Veränderungen anstoßen. Ein hilfreicher Ansatz könnte sein, sich den Schwellen nach und nach anzunähern und sich Stück für Stück mit ihnen auseinanderzusetzen.
So könnte es beispielsweise ein erster Schritt sein, einzelne Veranstaltungsformate durch eine diversitätsorientierte Brille zu betrachten: Welche soziale Gruppe kann bei unserer kommenden Veranstaltung gegebenenfalls nicht teilnehmen und warum nicht? Wie und in welchem Rahmen können unsere Jugendleiter*innen stärker für die Lebenswelten queerer oder armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher sensibilisiert werden? Gibt es Kooperationsmöglichkeiten mit Migrant*innenorganisationen, um Zugänge zu erleichtern? Wo findet unsere Veranstaltung statt; ist der Weg zum Raum barrierefrei? Wie verständlich und in welchen Sprachen ist unser Einladungstext formuliert?
Abhängig von den Rahmenbedingungen wird es gegebenenfalls nicht gelingen, alle Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen. Jedoch ist es bereits ein wichtiger Schritt, sich selbst kritisch zu hinterfragen und offen für Veränderungen zu sein.
Freiwilliges Engagement ist mehr als individueller Einsatz – es ist Ausdruck gelebter Demokratie und aktiver Teilhabe!
Engagement öffnet Räume für gesellschaftliche Mitgestaltung und ermöglicht selbstwirksames Agieren. Damit diese Potenziale für alle zugänglich sind, braucht es bewusste Schritte hin zu mehr Vielfalt, Offenheit und Abbau von Barrieren.
Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, freiwilliges Engagement inklusiver und zukunftsfähiger zu gestalten.
Literatur
- Simonson, Julia; Kelle, Nadiya; Kausmann, Corinna; Karnick, Nora; Arriagada, Céline; Hagen, Christine; Hameister, Nicole; Huxhold, Oliver; Tesch-Römer, Clemens. 2019. Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019. von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Berlin.
- Munsch, Prof.`in Dr.`in Chantal; Karakayali, Prof. Dr. Serhat; Kemnitzer, Tobias; Quent, Prof. Dr. Matthias; Riekmann, Prof.`in Dr.`in Wibke; van Rießen, Prof.`in Dr.`in Anne; Thimmel, Prof. Dr. Andreas; Vogel, Prof.`in Dr.`in Claudia; Zajak, Prof.`in Dr.`in Sabrina. 2024. Vierter Engagementbericht. Zugangschancen zum freiwilligen Engagement und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 20/14120). von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Berlin.
- Conrads, Merle; Dittrich, Lisa; Fenkl-Ebert, Sulamith; Habenicht, Britta-Marie; Judith, Christian; Krause, Stephanie; Linsner, Sabine; Magiros, Dr. Angelika; Schulze, Jana. 2017. Teilhabe möglich machen. Freiwilligenagenturen und Inklusion, ein Leitfaden für die Praxis. von Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) e.V., Berlin.
Internetquellen
- https://www.fes.de/akademie-management-und-politik/themen-im-fokus/engagement-in-einer-ungleichen-gesellschaft (Letzter Zugriff: 28.08.2025)
- https://www.dbjr.de/artikel/bundesjugendring-zum-vierten-engagementbericht-zugangschancen-zum-freiwilligen-engagement (Letzter Zugriff: 28.08.2025)
- https://www.migazin.de/2024/12/04/studie-soziale-ungleichheit-beim-ehrenamt-nimmt-zu/ (Letzter Zugriff: 29.08.2025)
- Grafik 13 Schwellen: MuP – Akademie für Management und Politik, angelehnt an den 4. Engagementbericht; Grafik unter: https://www.fes.de/akademie-management-und-politik/themen-im-fokus/engagement-in-einer-ungleichen-gesellschaft (Letzter Zugriff 29.08.2025)